Was weiß denn sie schon, dass sie über Männer urteilen könnte, mit denen sie drei Sätze gesprochen hat? Sie ist nun wirklich keine Beziehungsexpertin, hat ja ihre eigenen stets in den Sand gesetzt. Und dabei waren sicher nicht immer nur die anderen daran schuld. Sie ist schon selbst kompliziert genug, das weiß sie.
Luisa steht mit einem Mal auf und kommt zu Sina herum. In der Hocke, ganz nah an sie herangerückt, flüstert sie ihr ins Ohr: »Du hattest wohl doch recht, dass er ein Arschloch ist.« Sina schüttelt schnell den Kopf und wedelt verneinend mit ihrem Zeigefinger in der Luft herum. »Nein, nein, ich wollte gerade sagen, dass mir das leid tut, was ich vorhin …«
»Entschuldigung«, ertönt mit einem Mal eine markant tiefe Stimme direkt hinter Sina.
Sie fährt erschrocken herum und starrt in die dunkelbraunen Augen des Mannes, den sie schon den halben Nachmittag lang beobachtet.
Also doch.
Er will sie zur Rede stellen. Sina möchte sogleich durch ihren Stuhl rutschen und in eine Erdspalte hinabstürzen.
»Jaaa?«, fragt sie langgezogen und piepsig, räusperst sich aber sogleich.
»Ja, also, hi.« Er lächelt, und sie lächelt instinktiv auch, obwohl sie sich jeden Moment übergeben könnte vor Aufregung. »Bist du vielleicht Sina Bischof?«
»Äh, ja«, antwortet sie mit hämmerndem Herzen, gänzlich mit der Frage überfordert, woher der hübsche Kerl auf einmal ihren Namen kennt.
Von Nahem sieht er ja noch viel besser aus, verdammt.
»Man hat mir gesagt, dass du und die Braut zusammen in einer Studenten-WG gewohnt habt, ist das wahr? Bin ich da bei dir richtig?«
Sina fasst sich an die Brust und versteht nicht.
Ist das jetzt eine Fangfrage?
Spontan fallen ihr fünf Dinge ein, die sie und Lena in eben jener Wohngemeinschaft damals nicht hätten tun oder gar zu sich nehmen dürfen. Das Verhältnis zum Vermieter war, naja, sagen wir mal „spannend“. Ob ihr mysteriöser Schönling hier gar der Sohn dieses Arschlochs ist, von dem sie sich mehr als unrühmlich verabschiedet hatten? Sina hatte damals schon gesagt, dass ein, wenn auch kleiner Berg Hundescheiße auf dem Fußabtreter der Haustür Ärger geben wird.
»Ja, wieso?«, antwortet sie mit zittriger Stimme, und kann dabei seinem durchdringenden Blick kaum standhalten.
Doch dann hebt er eines dieser kleinen Aufgabenkärtchen in die Luft, welche die Kinder zuvor in den Bastkörbchen verteilt haben, und er sagt mit funkelndem Blick: »Ich soll ein Foto mit dir machen.«