Verknallt in jeder Tonart

Textauszug Nummer 1


»Weißt du, was mir am meisten fehlt?«, fragt Babsi während ihres allabendlichen Telefonats mit Elli.

»Du sagst es mir bestimmt gleich.«

»Essen gehen«, stößt Babsi sehnsuchtsvoll hervor. »Kein Dosenfraß mehr, nicht kochen müssen, einfach hinsetzen und bestellen und sich in der Zeit einen Prosecco genehmigen.«

»Ja, das klingt zu schön um wahr zu sein«, pflichtet ihr Elli bei. »Wenn das alles vorbei ist, das schwöre ich dir, esse ich mindestens zwei Jahre lang keine Fertigpizza mehr.«

Sie malen sich die gute alte Zeit aus, die erst vor wenigen Wochen zu Ende ging, in der man noch Geschäfte besuchen und Schuhe anprobieren durfte. Als es noch erlaubt war, ein Schwimmbad, Fitnessstudio oder einfach auch nur das Zimmer der bettlegrigen Oma betreten zu dürfen. Das Leben wird zukünftig ein anderes sein, mahnen Politiker und Experten im Fernsehen, Radio und dem Internet. Niemand weiß wie es weitergehen kann, ohne dass die Wirtschaft, nein, die ganze Welt, im Chaos versinken wird.

»War irgendwas bei der Arbeit heut?«, fragt Babsi irgendwann beiläufig.

»Ja, habe einen neuen Kollegen zugeteilt bekommen«, antwortet Elli spontan, würde sich aber in der Sekunde noch am liebsten die Zunge abbeißen. Den ganzen Tag lang hatte sie sich selbst ermahnt, Babsi auf keinen Fall etwas von Chris zu erzählen. Sie will es sich nicht ausmalen, was passieren würde, wenn Babsi wüsste, dass ihr heiß geliebter Superstar in unmittelbarer Nähe arbeitet. Und nicht nur arbeitet, sondern sogar mit ihrer besten Freundin Raucherpause macht und zugegebenermaßen im realen Leben noch um einiges besser aussieht, als im Internet.

»Aha, ein Kollege«, antwortet sie auch prompt, mit diesem bedeutungsschweren Tonfall, der Mann und Frau auf ihre niedersten biologischen Funktionsweisen reduziert. »Wie sieht er denn aus?«

»Zu alt«, antwortet Elli prompt, und läuft damit in die nächste Falle.

»Aha«, donnert Babsi scharf zurück, »ihr habt also schon die Schutzkittel runtergezogen und ein kleines Pläuschchen gehalten, was? Na komm schon, dann kann er ja nicht so uninteressant sein.«

»Wir waren nur zusammen eine rauchen, das war alles.«

»Rauchen?«, kreischt Babsi entsetzt. »Seit wann rauchst du denn?«

Kann ich denn nicht einfach meine dumme Klappe halten? So schwer ist das doch nicht.

»Seit heute«, antwortet Elli patzig.

Babsi ist tatsächlich sprachlos, ein Umstand, der nicht oft, genau genommen das allerste Mal vorkommt, seit Elli sie kennt. Es nötigt sie, ihre Geschichte fortzusetzen, obgleich auch in leicht veränderter Form: »Er hatte nach einer Pause gefragt und dass er gern rauchen würde. Ich war in dem Moment gerade wirklich down, wegen dem ganzen Corona-Mist. Mich macht das fertig, mit den kranken und panischen Leuten, die alle Angst haben und verzweifelt sind. Das ist wirklich kein Job, den ich länger durchhalten könnte.«

»Und deswegen fängst du am zweiten Tag das Rauchen an? Mit 34? Was macht das für einen Sinn?«

»Gar keinen. Du hast recht. Ich werd‘s auch nicht mehr machen, o.k.?«

»Ich meine«, beginnt Babsi zu philosophieren, »wenn du wenigstens Gras geraucht hättest, dann könnte ich es ja noch verstehen. Das solltest du unbedingt machen, würde dir sicher guttun.«

»Nein, nein«, lacht Elli, ein wenig erleichtert, dass das Thema Mann so langsam in den Hintergrund gerutscht zu sein scheint. »Ich hab eine ganz normale Chesterfield geraucht.«

»Hach«, Babsis Kreischen lässt Elli zusammenfahren, »wie Chris. Chesterfield ist doch seine Marke, weißt du?«

Elli kann es kaum fassen. »Du weißt, welche Sorte Zigaretten dieser Kerl von den „Wired Dreams“ raucht, ist das jetzt dein Ernst?«

»Ich weiß sogar welche Unterhosenmarke er trägt«, berichtet Babsi mit einem gewissen Stolz in der Stimme, »aber schön, dass du dir endlich mal die Namen gemerkt hast.«

Elli grinst in sich hinein.

Was bleibt mir denn anderes übrig?