Perfekt kann ja jeder - Das etwas andere Date

Textauszug Nummer 1


Volker ist sichtlich amüsiert von ihrem Wendemanöver und nimmt einen tiefen Schluck. Er lässt seine Gesprächspartnerin dabei nicht mehr aus den Augen, fixiert sie über den Rand seines Glases hinweg.

»Kann es sein, dass du ablenken möchtest«, antwortet er galant und stellt sein Glas quasi in Zeitlupentempo zurück auf den Tresen. 

»Vielleicht möchte ich ein bisschen ablenken«, antwortet sie verunsichert. »Ich bin etwas schüchtern, weißt du?«

»Das kann ich mir kaum vorstellen«, erklärt Volker gespielt schockiert. 

Doch er ahnt ja gar nicht, wie sehr Suse tatsächlich unter ihrer Schüchternheit zu leiden hat. Es ist ihre Achillesferse, ihr tief verwurzelter Dorn im Leib, der ihr das Leben unnötig schwer macht. Suses Problem ist dabei nicht, dass sie vor Schüchternheit das geduckte Mädchen mimt, das sich nicht traut, den Mund aufzumachen. In vielen Fällen würde das einen Mann ja vielleicht sogar reizen, dazu animieren, für diese "hilfsbedürftige" Frau alles zu geben. Doch stattdessen überspielt Suse ihre Unsicherheit meist mit dämlichen und unüberlegten Äußerungen, stößt sie ihre Männer provokativ vor den Kopf. Suse könnte sich das ein um das andere Mal selbst die Zunge abbeißen, bei dem, was sie manchmal so von sich gibt. So ist es auch ihre jetzige Antwort, die sie mal wieder selbst zusammenzucken lässt:

»Ja, ich weiß. Männliche Vorstellungskraft ist mehr so auf das Optische beschränkt. Nichts Neues.«

Suse weiß doch selbst, dass solche Weisheiten bei einem ersten Date eher selten gewürdigt werden. Männer in ihrer Ehre gleich am Anfang zu kränken, hat sich noch nie als besonders gewinnbringend bewährt.

Halt doch einfach mal deine dumme Klappe, verdammt. 

Volker lächelt erwartungsgemäß müde, versucht dennoch, freundlich zu bleiben: »Wir haben andere Qualitäten.«

»Tatsächlich«, quiekt Suse sarkastisch, »Männer haben auch Qualitäten? Erzähl mal!«

Volker schaut sie etwas mitleidig an. Ihr Spiel scheint ihm nicht zu gefallen, genausowenig wie es Suse selbst gerade gefällt.

»Ich sehe schon…«, erklärt er enttäuscht, doch Suse hakt sofort ein, erkennt sie zu ihrem Leidwesen, dass Volker gerade sein Interesse an ihr verliert. 

»…Was siehst du«, fragt sie eine Spur zu schroff und zu laut. 

»Das soll hier wohl eher die Gute-Nacht-Geschichte werden, wenn überhaupt.« Sowohl sein Tonfall als auch der dazugehörige Blick transportieren Unzufriedenheit.

»Vergiss es, bitte«, meint sie kopfschüttelnd, »manchmal quatsch ich einfach so drauflos. Es war nicht so gemeint.«

Sie schauen sich eine Weile lang schweigend an, trinken, lächeln verkrampft. Suse, die Volkers Voranschreiten, trotz all seiner sichtlichen Vorzüge, als zu fordernd empfindet, könnte sich dennoch selbst ohrfeigen. Warum nur, fragt sie sich selbst nicht das erste Mal, muss sie immer die Oberhand behalten und den Männern weißmachen wollen, dass sie eine ganz Taffe und Gewitzte ist? Warum lässt sie ihn nicht einfach ein bisschen gewähren, guckt, wo er sie beide hinführt. Dieser Mann ist zwar ein bisschen spooky, aber dafür auch äußerst charmant, sehr gepflegt und er lächelt herzergreifend. Volkers optische Reize sind über jeden Zweifel erhaben, entsprechen fast vollständig Suses Vorstellung eines Jackpot-Gewinns. Gepflegt männlich, jedoch ohne diesem dämlichen Barttrend hinterherzurennen, dem sich jetzt gerade wohl jeder verschrieben sieht. Suses Meinung nach haben sich die Jungs erst dann einen Bart verdient, wenn sie mit einem Jagdmesser einen Elch erlegt, zumindest jedoch einen Baum mit einer kurzen Axt gefällt haben. Irgendwo in der Mitte Kanadas ausgesetzt und einsam seinem Schicksal überlassen, würde sie vielleicht auch als Grund gelten lassen. Aber so? Suse will weder unnötige Haare im Gesicht, noch ein Reibeisen, das ihr beim Küssen die Wangen aufscheuert.

Aber dieses Exemplar hier ist ja unfassbar gut.

»Es tut mir leid…ich wollte dich nicht…«

»Schon ok«, wiegelt er ab und setzt ein neues Lächeln auf. »Vielleicht war ich ein bisschen zu schnell. Erzähl mir doch ein bisschen was von dir.«

»Was willst du wissen?«, fragt sie aufatmend. Noch scheint nicht alles verloren zu sein.

»Was du eben so für erzählenswert erachtest, Suse. Was sollte ich über dich wissen?«

Suse überlegt, hat nicht die geringste Ahnung, was sie nun schlaues von sich geben soll. 

»Wie gesagt«, erklärt sie unpassend fröhlich, »ich bin ein bisschen schüchtern.«

Volker scheint zu resignieren.

Irgendwie läuft das hier nicht rund.

Suse beschließt, sich eine kurze Auszeit zu nehmen. Sie muss ihre Gedanken sortieren, mal besser schnell den Reset-Knopf drücken, um weiteren Schaden abzuwenden. Sie will dieses Date nicht auch schon wieder in den Sand setzen.

»Ich geh’ kurz eine rauchen«, erklärt sie schniefend und steht auf. Als sie Volker wieder ansieht, muss sie unerwarteter Weise in ein völlig geschocktes Gesicht blicken.

»Du rauchst?«

Suse schielt von links nach rechts, ohne ihren Kopf dabei zu bewegen. Sie weiß genau, dass sie online über ihr kleines Laster aufgeklärt hat. Sogar ein Bild von ihr, mit einer Zigarette im Mund, ist Teil ihrer virtuellen Identität.

»Hast du mein Profil nicht gelesen?«

»Dieses Detail muss ich wohl übersehen haben«, bemerkt Volker, sichtlich um Fassung bemüht. 

»Du scheinst wohl ein Problem damit zu haben, was?«

»Naja, zumindest bin ich ein wenig überrascht. Ich habe gar nichts gerochen und für eine Raucherin hast du erstaunlich saubere Zähne.«

Was bitte? "Für eine Raucherin hast du erstaunlich saubere Zähne und du riechst besser, als erwartet"? Vielleicht sollten wir das hier tatsächlich lieber abbrechen. 

Suse verzieht das Gesicht und hängt sich nicht nur ihre Jacke, sondern auch die kleine Handtasche um. Volker scheint seinem Blick nach zu verstehen, dass der Abend, so jung er auch sein mag, soeben zu Ende geht.

»Entschuldige«, erklärt er bestürzt und greift nach Suses Arm. Suses erster Reflex fordert, seine Hand augenblicklich abzuschütteln. Doch sie fühlt sich warm an, stark und auf eine unerklärliche Art und Weise angenehm. Suses Drang, sich sofort loszureißen und davonzurennen, verebbt. Ganz im Gegenteil: Sie möchte eigentlich gar nicht, dass Volker sie wieder loslässt. Doch zu ihrem Leidwesen tut er dies und erklärt: »Bitte warte kurz. Ich habe gerade Blödsinn von mir gegeben.«

Das kannst du laut sagen, schöner Mann.

Suse setzt sich verunsichert, hängt ihre Handtasche wieder über den Stuhl, lässt aber ihren Mantel an. Ihre Wollmütze hat sie den ganzen Abend noch nicht vom Kopf gezogen, aus Angst, sie könne damit ihre Frisur zerstören.

»Es ist nur so«, erklärt Volker weiter, »ich werde beruflich so oft mit dem Thema Rauchen konfrontiert und komme vielleicht deshalb einfach nicht aus meiner Haut.«

»Was machst du denn beruflich?«, fragt Suse neugierig.

»Naja«, erklärt er mit einem leicht überheblichen Grinsen auf dem Gesicht, »Cut4smile? Klingelt da nichts?«

Nö.

»Du bist Friseur?«

»So ähnlich. Ich bin Chirurg.«

Chirurg??!!! Wir warten definitiv noch ein wenig mit dem Abbruch. Der Abend ist noch so jung und wer weiß schon, was wieder im Fernsehen für ein Mist läuft.

»Chirurg. Wow«, platzt Suse die Anerkennung völlig ungefiltert heraus. »Cut4smile, also Schönheitschirurg? Es gibt doch noch Hoffnung für meine Oberweite, ja?«

Oops, hab ich das wirklich gesagt?

»Nein, nein. Ich bin am Städtischen – Neurochirurgie. Schönheit machen meine Kollegen, da können wir gerne einen Termin für dich vereinbaren.«

Hallo? Bitte? Das heißt: "Nein, liebe Suse, das hast du doch gar nicht nötig. Du siehst toll aus". Die 20 Kompliment-Punkte hat er soeben richtig versemmelt.

Dennoch ist Suse beeindruckt, verzeiht Volker seinen kleinen Fauxpas und entspannt ihre Körperhaltung. Im Endeffekt ist sie froh darüber, dass sie endlich mal zu einer halbwegs vernünftigen Unterhaltung kommen.

»Einen Arzt habe ich noch nie kennenlernen dürfen. Wirklich spannend.«

»Ein Beruf wie jeder andere«, erklärt Volker schulterzuckend. Es schwingt, Suses Meinung nach, dennoch ziemlich viel Selbstgefälligkeit mit.

Ein Beruf wie jeder andere – wenn du meinst. Erklär das mal ´nem Leitplankenputzer.

»Hast du schonmal eine Lungen-OP gesehen?«, fragt Volker und zielt mit dem Zeigefinger auf Suses Brust. Mit einem Mal überkommt sie das Gefühl, ihre letzten zehn Zigaretten deutlich darin zu spüren.

»Zum Glück nicht«, erklärt sie kleinlaut und hält sich schützend die Hand vor ihr Sweatshirt-Oberteil.

»Nun ja. Ich mache sowas fast jeden Tag und ich habe so einige Raucherlungen zu Gesicht bekommen.«

Suse fühlt sich von Sekunde zu Sekunde schlechter, ertappt, nahezu schuldig. Sie greift zu ihrem Glas und kippt sich den Rest ihres Cocktails mit einem Zug hinunter. 

»Entschuldige, bitte«, meint Volker und lacht entwaffnend. Er beobachtet Suse, wie sie sich nachdenklich den Mund abtupft und sich danach wieder mir ihrer Hand vor der Brust quasi selbst zu schützen versucht. »Ich wollte dir nicht den Spaß verderben, wirklich. Ich war nur, wie gesagt, nicht darauf vorbereitet. Bitte verzeih.«

Ist er nicht süß? “Bitte verzeih“. Ich verzeih dir alles, wenn du so Sachen sagst.

 

»Und jetzt geh eine rauchen, bitte. O.K?«